Familie & Partnerschaft

Ich, mein neuer Freund und die Pubertät

Pubertierende und Patchwork-Familien © sester1848 - Fotolia.com Pubertierende und Patchwork-Familien

"Die Kinder sollen meinen neuen Partner genauso lieben, wie ich selbst." Das kann nicht klappen, das ist jedem klar. Theoretisch. Und genau an diesem Punkt entzündet sich in Patchworkfamilien in der Pubertät oft Streit.

Du hast mir gar nichts zu sagen!

Die Türzargen zittern noch, die Vase auf dem Tisch ruckelt bedenklich und die Erwachsenen halten sich die Ohren zu und den Atem an. Alexa hat wieder einmal einen filmreifen Abgang hingelegt, eine Variation des Klassikers „du hast mit gar nichts zu sagen.“ Der Anlass war, wie immer, ganz banal. Michael hatte gekocht, es war lecker, das fand auch Alexa. Aber dann bat er sie, den Tisch mit abzuräumen. Was zu ebenjenem Abgang führte.

Lea und Michael sind seit einem halben Jahr zusammen. Sie hat ihn auf einem Elternabend in der Schule kennengelernt. Seit zwei Monaten versucht sie, langsam Kontakt zwischen ihrer Tochter und ihrem neuen Liebsten aufzubauen. Spaziergang, Rummelplatz, Besuch in seiner Wohnung – an ein Zusammenziehen denken sie noch nicht. „Nach fünf Jahren habe ich endlich wieder einen neuen Mann, mit dem ich glücklich bin“, sagt Lea. Die Reaktion ihrer Tochter stimmt sie traurig. „Ich dachte, dass sie mir das gönnt.“

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So können Kinder die neue Liebe akzeptieren lernen:

  • Vater bleibt Vater, der neue Freund der Mutter ist eben ihr neuer Freund. Das müssen beide Erwachsene so wollen und auch so dem Kind gegenüber vertreten.
  • Der Kontakt zum anderen Elternteil muss stabil bleiben und genauso geachtet werden wie vorher.
  • Es ist eine neue Situation, keine verbesserte Neuauflage der alten Familie. Erwartungen, dass die Kinder den neuen Partner sofort akzeptieren, sind fehl am Platz.
  • Sätze wie „der ist doch viel netter und freundlicher als der richtige Vater, da solltest du ruhig einmal dankbar sein“ sind Gift. Auch in Gedanken!
  • Der neue Partner sollte nicht davon ausgehen, dass er sofort mit Sympathie empfangen wird.

Beratungsstellen für Familien vor Ort:
www.bke.de/virtual/ratsuchende/beratungsstellen.html?SID=0BB-89B-2B7-BB9

Auf respektvolle Umgangsformen achten

Dieser Schluss sei zu hart, meint Vera Schreiber, Pädagogin in der Eltern-Kind-Beratung der Arbeiterwohlfahrt in Göttingen. „Kinder zeigen solche Reaktionen nicht, weil sie der Mutter oder dem Vater weh tun wollen. Sondern weil sie Zeit brauchen, sich an die neue Situation zu gewöhnen.“ Dazu gehört natürlich auch, dass sie fürchten, ihre Stellung als wichtigstes Liebesobjekt der Mutter sei gefährdet. Und diese Angst könne immer wieder hervorbrechen, auch wenn sich die Mutter Solo-Zeit mit der Tochter nimmt und immer wieder betont, dass sich an ihrer Liebe zu ihr nichts ändert.

Michael nimmt Alexas Ausbrüche einigermaßen gelassen und bezieht sie nicht in erster Linie auf sich. Aber den Tisch abräumen gehöre einfach dazu, darauf beharrt er. „Auf allgemein verbindliche Umgangsformen wie Begrüßung und höfliches miteinander Sprechen kann der Partner schon bestehen. Ebenso auf dem Einhalten allgemeiner Alltagsregeln wie den eigenen Müll hinaustragen und den Teller abräumen“, meint Schreiber.

Zentrale Angelegenheiten regeln Mutter und Kind

Allerdings müsse der neue Partner auch anerkennen, dass die Beziehung der Mutter zu ihren Kindern wesentlich länger bestehe als die zu ihm. Da seien Vertrautheit und eine bestimmte Art des Umgangs miteinander gewachsen, zu der der Partner keinen Zugang habe, so Schreiber. „Zentrale Angelegenheiten werden zwischen Mutter und Kind geregelt, das muss der neue Partner akzeptieren.“

Alexa hatte kurz vor Michaels Kochaktion ihrer Mutter mit bebendem Herzen gestanden, dass sie sich in einen Jungen aus ihrer Schule verliebt hatte. Lea hatte Michael nichts davon gesagt, das geht ihn schließlich nichts an. „Ich will mich auch gar nicht einmischen oder dazwischendrängen“, sagt Michael. Und er kann auch verstehen, dass Mutter und Tochter Themen haben, von denen er ausgeschlossen ist. „Aber diese Wutausbrüche nerven trotzdem.“

Die erste Liebe und die Liebe der Eltern

Pubertät ist die Zeit, in der Jugendliche sich zum ersten Mal verlieben. Sie tasten sich langsam an dieses Thema ran, in Filmen und im Internet ist es überall präsent, sie sind sich ihrer selbst und ihrer Gefühle nicht sicher – und dann macht Mama das. Lebt vor, womit sie gerade tief beschäftigt sind. „Das kann für viele Pubertierende schwer auszuhalten sein“, meint Schreiber.

Für Lea ist es nicht leicht zu erkennen, dass sich so schnell wohl keine neue heile Familie mit Michael und Alexa entwickeln wird. „Auf der einen Seite weiß ich, dass das nicht so einfach gehen kann, auf der anderen Seite habe ich einen großen Wunsch danach.“ Den kann Vera Schreiber gut verstehen. „Aber selbstverständlich kann man das nicht gegen die Kinder durchsetzen.“

Zeit ist das Zauberwort

Viele Patchworkfamilien wollten alles gleichzeitig und zu schnell, so ihre Erfahrung. Kinder brauchen Zeit, sich an den neuen Menschen in diesem Gefüge zu gewöhnen, der Partner muss die vorhandenen Familienregeln erkennen – da ist jede Menge Konfliktstoff. „Patchworkfamilien bauen ihr Leben quasi anders herum auf“, erklärt Schreiber. Normalerweise lernt sich erst das Paar kennen und lieben, dann kommen die Kinder, dann wird die Familie aufgebaut. Bei Patchworkfamilien sind die Kinder und die Familie aber bereits vorhanden, wenn sich die Erwachsenen verlieben. Deshalb rät sie den Liebenden, sich Zeit als Paar zu nehmen. In der Pubertät sind die Kinder ja schließlich auch schon so groß, dass sie einmal eine Nacht allein in der Wohnung verbringen können. Denn ohne die Liebe des Paares kann auch eine neue Partnerschaft oder Familie nicht gelingen.

Letzte Änderung amDienstag, 14 Oktober 2014 14:06
Ralf Ruhl

Ralf Ruhl arbeitet als selbstständiger Journalist und Redakteur. Er lebt mit seiner Familie in Göttingen. Seine Kinder haben die Pubertät hinter sich. Und er auch. Glaubt er...

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