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Initiationsrituale für Jungen

Initiationsrituale für Jungen Foto: © amelaxa - Fotolia.com Initiationsrituale für Jungen

Sie hängen rum und sind völlig desinteressiert. Sie daddeln tage- und nächtelang. Sie prügeln und saufen, sie liegen auf der Couch im Hotel Mama und wollen einfach nicht selbstständig werden. Jungen scheinen nicht in diese Gesellschaft zu passen. Können Initiationsrituale helfen?

Klappe halten!

Nein, ich werde Euch nichts erzählen. Nichts von dem Camp, das die Männer aufbauten, von dem Lebensmittelrieseneinkauf, nichts von der Schwitzhütte, die sie errichteten. Und vor allem nichts von den Jungen, die sich durch einen Verhau einen Weg ins Camp bahnen mussten, ihre Zelte hinstellten, die für das Kochen zuständig waren. Nichts von ihren einsamen Stunden im Wald, den Herausforderungen an der Kletterwand und am Fluss, ihren Kämpfen mit sich und anderen, ihren Reflektionen und vielleicht sogar Visionen über ihr weiteres Leben. Nichts von den Nächten am Feuer mit Geschichten, Mythen und Fragen. Und nichts von dem Geschenk, das sie für ihre Mentoren angefertigt hatten. Denn im Initiationsseminar lernt man auch, Respekt zu zeigen, sowie Versprechen zu halten. Und die Klappe.

„Initiation kann bei uns nicht im Ursinn funktionieren“, sagt Thomas Scheskat, Pädagoge und körperpsychotherapeutischer Gruppenleiter, der Initiationsseminare für erwachsene Männer anbietet. „Wir sind keine archaische Stammesgesellschaft mehr. Bei uns gibt es keine Gruppe der erwachsenen Männer, in die die Jünglinge aufgenommen werden können – oder es eben auch nicht wollen.“ Vorhandene Rituale und Prüfungen, wie der Führerschein, das Abitur (auch „Reifeprüfung“ genannt), oder auch der Militärdienst seien nur einzelne Puzzlesteine ohne Verbindung zu einem großen Ganzen.

Weitere Informationen

Was bedeutet Initiation?

Alle Religionen haben Riten für die Einführung in die Gemeinschaft der Gläubigen, wie z.B. Taufe und Konfirmation bei den evangelischen Christen, die Bar Mitzwa im Judentum oder den Upanayana im Hinduismus. Die Jugendweihe, wie sie in der DDR gebräuchlich war, ist ein Beispiel für einen säkularen Initiationsritus.

In Stammesgesellschaften wurde der Übergang von der Kindheit zum Erwachsensein durch einen mehr oder weniger langwierigen Initiationsprozess begleitet. Der Sinn ist, dass der Junge oder – wesentlich seltener – das Mädchen als erwachsener Mensch wiedergeboren wird. Dazu wurden meist eine Reihen von Prüfungen, oft schmerzhafter Art, abgelegt, bis die Aufnahme in den Kreis der erwachsenen Frauen oder Männer in einem feierlichen Ritual vollzogen wurde.

Initiationsseminare für Jugendliche:

www.mannepotsdam.de/
www.natur-und-wildnisleben.de/index.php?id=10
www.maennerpfade.org/initiation
www.initiation-erwachsenwerden.de/
www.wildniswissen.de/jugendprogramme/initiation-fuer-jugendliche
www.initiationspfad.de/

Initiationsseminare und Weiterbildung für Männer:

www.kraftprotz.net/
www.maennerbildung.de

Was fehlt: Männlichkeit

Denn es fehle an reifer Männlichkeit, so Scheskats Fazit. Auch die Erwachsenen von heute spürten einen Hunger in sich: „Es gibt eine ungestillte Sehnsucht nach erwachsenen Männern, die einen beherzt an die Hand nehmen, herausfordern, mit denen gemeinsam Spannendes erlebt werden kann.“ Auch die inzwischen 40-, 50- oder 60-Jährigen hätten oft eine starke Angst vor dem Versagen, fühlten sich ständig Gefahren ausgesetzt, ihr Grundgefühl sei das von Wertlosigkeit. Dies sei, darauf weist er vehement hin, ein gesellschaftliches Problem und keinesfalls einzelnen Männern anzulasten. „Denn es gibt keine allgemein gültige Auffassung von Männlichkeit mehr, etwa dass dies immer mit stark und dominant zu sein einher gehen muss und das ist auch gut so. Heute kommt es darauf an, eine eigene Form der Erwachsenheit als Mann zu finden und sie selbstbewusst zu vertreten, ganz gleich ob breitschultrig mit markigen Tattoos, oder eher soft, schwul oder was auch immer früher als unmännlich gegolten hätte.“

Diese eigene Form der Männlichkeit suchen Jungen auf ihren eigenen, nicht unbedingt einfachen und komfortablen Wegen. Wer jedoch nur ihr problematisches Verhalten sieht – von S-Bahn-Surfen bis Gewalttätigkeit, von Drogenmissbrauch bis unentschlossenem Rumhängen –, der sei schon auf die Defizitschiene abonniert. Das meint Josef Riederle, Sozialpädagoge und Eigner des Instituts Kraftprotz in Mielkendorf bei Kiel. Auch er konstatiert einen großen Vaterhunger bei Jungen: „Männlichkeit ist ein nebulöser Begriff und in unserer Gesellschaft inzwischen eher negativ besetzt. Jungen wollen und müssen aber zu Männern werden. Selbstverständlich fragen sie sich da – gerade in der Pubertät – was einen Mann ausmacht, wann eben ein Mann ein Mann ist.“ Ein Initiationsseminar könne hier Orientierung bieten.

Das bestätigt Scheskat: „Ein Initiationsseminar bietet einen innerpsychischen Gewinn für Jungen und Männer. Keinesfalls ist damit – wie in den archaischen Gesellschaften – ein bestimmter Status verbunden. Und eben auch kein einseitiges Bild vom markigen Mann, der keinen Schmerz kennt und keine Gefühle zeigen darf.“

Respekt lernen

In einem solchen Kurs sind sie – oft zum ersten und vielleicht einzigen Mal in ihrem Leben – als Jungen in einer Gruppe zusammen mit erwachsenen Männern. Diese Männer akzeptieren sie, nehmen sie ernst. Und das müssen sie sich nicht durch bestimmte Leistungen erwerben. „Das wichtigste in meinen Kursen“, sagt Riederle, „ist der respektvolle Umgang miteinander.“ Respekt sei für Jungen ein Schlüsselwort. Denn wer respektiert wird, ist ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft. Und das wollen die Jungen unbedingt sein.

Zum Respekt gehört auch die Achtung vor sich selbst. Sich selbst spüren, auch die bisher erlittenen Verletzungen, den Schmerz, die Wunden. Aber genauso die Fähigkeiten, die Kraft, die Liebe zu anderen Menschen.

Kampfesspiele und Alleinsein

Der Weg dahin führt über körperliche Herausforderungen, wie z.B. Kampfesspiele. „Jungen sind über Körperkontakt zu erreichen“, so Riederle. Das einfachste Beispiel sei der Schlag auf die Schulter. Das mache wach, erreiche sie eher als Gespräche im Sitzkreis. Scheskat geht noch weiter: „Junge Männer suchen starke körperliche Erfahrungen, wie ihre riskanten Unternehmungen zeigen. Ein tiefes emotionales Erleben ist ohne Körperlichkeit nicht zu erreichen.“ Gerade im Camp sei der Kontakt nicht nur stark und intensiv, sondern auch ehrlich, meint Riederle: „Die Jungen kommen in Kontakt mit den Quellen ihrer Kraft.“ Wie viel Kraft sie haben, wie sie sich anfühlt, wie sie sie einsetzen, wann sie achtlos werden, wie sie ihren Kampfpartner respektvoll behandeln und sich ebenso behandelt fühlen – das wird ihnen schon in einem kurzen Ringkampf klar.

Gleich wichtig sind jedoch die Zeiten allein. Allein mit sich selbst, allein in der Natur. Bei manchen Initiationsseminaren sind die Jungen einige Stunden, bei anderen sogar einige Tage allein. Nicht so weit voneinander entfernt, dass keine Hilfe kommen kann, und ein Notruf ist selbstverständlich immer möglich. Aber eben wirklich auf sich gestellt. Wasser, Essen, Schlafplatz – alles müssen sie sich selbst suchen und gestalten. Dass dabei Ängste vor wilden Tieren, der Einsamkeit, der Orientierungslosigkeit aufkommen, ist selbstverständlich. Ebenso, dass die Jungen lernen, sie zu akzeptieren und mit ihnen klar zu kommen. Und dass sie am Lagerfeuer nach ihrer Heimkehr willkommen geheißen werden und ihre Geschichte erzählen.

Jungen haben etwas zu sagen

Denn sie haben etwas zu erzählen. Etwas tief selbst Erlebtes. Das ist attraktiv, das macht die Jungen attraktiv, auch für das andere Geschlecht. „So kommen sie über das Posen und Nachbilden eines Images hinaus“, sagt Riederle. Das braucht aber eben nicht nur das Erleben, sondern auch diejenigen, die zuhören. Weshalb auch das ein wichtiger Teil des Initiationsseminars ist. Und nicht alle erwachsenen Männer sind  besonders gut darin. „Deshalb ist es wichtig, dass der Junge dort einen Mentor hat, der auch mal eingreifen kann, wenn die Älteren zu viel reden oder er merkt, dass der Junge sich nicht verstanden fühlt.“

Scheskat und Riederle wissen von vielen Jungen und Männern zu berichten, die in einem Initiationsseminar richtungweisende Entscheidungen für ihr Leben getroffen, bestätigt oder verworfen hätten. Sei es die Frage, ob sie einen Lehrberuf ergreifen oder auf die gymnasiale Oberstufe gehen wollen, ob sie ein Jahr im Ausland verbringen wollen, oder auch, ob sie lieber bei ihrem Vater, der von der Mutter getrennt lebt, wohnen wollen.

Ein Initiationsritual macht keinen daddeligen Jungen von einem Moment auf den anderen zu einem reifen erwachsenen Mann. Ebensowenig wie der 18. Geburtstag einen erwachsenen Menschen schafft. Es macht auch keine besseren Menschen aus ihnen. Aber es schafft ihnen Erlebnisse in einer Gemeinschaft, die vielleicht einen Teil ihres psychischen Hungers stillen und sie stärken können für die Herausforderungen, die auf ihrem Lebensweg vor ihnen liegen

Letzte Änderung amDienstag, 22 Juli 2014 14:01
Ralf Ruhl

Ralf Ruhl arbeitet als selbstständiger Journalist und Redakteur. Er lebt mit seiner Familie in Göttingen. Seine Kinder haben die Pubertät hinter sich. Und er auch. Glaubt er...

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