Die Kunst ein gutes Vorbild zu sein
- geschrieben von Helga Wissing
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„Macht Euren Mist doch alleine“, schreit die 15-jährige Julia, läuft in ihr Zimmer und knallt die Tür hinter sich zu. Es ist nicht das erste Mal, dass der Teenager auf Bitten zur Mithilfe im Haushalt, wie in diesem Fall, den Tisch abzuräumen, aggressiv reagiert.
Schon seit einiger Zeit hat Julia, wie ihre Mutter es nennt „einen frechen Ton am Leib“. Vor allem dann, wenn die Eltern etwas einfordern, was nach ihrer Meinung selbstverständlich sein sollte. Jeder in der Familie müsse doch gewisse Regeln einhalten, mein Julias Vater.
Regeln in der Erziehung
„Jede Familie braucht Regeln, um die zwischenmenschlichen und sozialen Prozesse in der Familie zu fördern“, erklärt der Familientherapeut Jesper Juul in seinem Buch „Pubertät – Wenn Erziehen nicht mehr geht“. Welche das seien, hinge allerdings ganz von der Lebenseinstellung, den Wertvorstellungen und Erfahrungen der Eltern ab. Natürlich könne man beispielsweise zehn allgemeingültige Regeln für das Zusammenleben in der Familie formulieren, doch sei dies uninteressant, weil diese Regeln stets die individuellen Überzeugungen der Eltern widerspiegeln müssten. „Regeln, die vernünftig vermittelt werden, also weder mit erhobenem Zeigefinger, noch mittels Überwachung und Strafe, dienen sowohl der Gemeinschaft als auch den einzelnen Familienmitgliedern.“ Das gelte vor allem für die ersten zehn bis zwölf Lebensjahre eines Kindes: „Der Umgangston und die Verhaltensweisen, die Eltern in dieser Zeit praktizieren, haben einen entscheidenden Einfluss darauf, wie die Kinder sich später verhalten.“ Sei der Ton beispielsweise zu scharf und kommandierend gewesen, erklärt der Experte, würden diese Jugendliche vermutlich viel Energie darauf verwenden, sich den Regeln der Eltern zu widersetzen und in diesem Kontext auch die Kunst erlernen, überzeugend zu lügen. Auf der anderen Seite könne ein gleichgültiges und nachlässiges Elternverhalten den Kindern aber auch das Gefühl vermitteln, sie seien den Eltern ebenfalls gleichgültig.
Weitere Informationen
Arbeitskreis Neue Erziehung e.V. (ANE)
www.a4k.de
Jesper Juul: Pubertät – wenn Erziehen nicht mehr geht.
Kösel 2010, 208 Seiten, ISBN 3466308712, 16,95 Euro
Vorbildfunktion der Eltern
Die Aufgabe der Eltern sei es vor allem, gute Vorbilder zu geben, sagt die Ärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Dr. med. Nadia Osman. „Kinder lernen Konfliktlösung vor allem von ihren Eltern. Schreiende und bestrafende Eltern sind ein negatives Vorbild. Eltern, die ihre Konflikte mit Gesprächen und Kompromissen lösen, bieten ihren Kindern alternative Lösungen an.“ Des Weiteren sei es wichtig, klar und konsequent zu sein. Weder ein zu nachlässiger noch ein zu strenger, autoritärer Erziehungsstil seien dabei hilfreich. „Kinder sollten früh zu pro sozialem Verhalten gestärkt werden. Hilfsbereitschaft gegenüber jüngeren und älteren Menschen, soziales Verhalten in Gruppen und Sportvereinen, gemeinsame Unternehmungen und positive Beziehungen innerhalb der Familie sind wichtige erzieherische Maßnahmen, die vorbeugend gegen Aggressivität wirken.“
Eltern seien zu einem schwierigen Drahtseilakt“ gezwungen, der ihnen nur gelingen könne, wenn sie einen offenen Dialog mit ihren Kindern aufrecht erhalten, bietet Jesper Juul Lösungsansätze an. Die Balance müsse dabei ständig „nachjustiert“ werden. Wenn die Eltern bis zur Pubertät nicht gelernt hätten, das „Erziehung“ ein wechselseitiger Lernprozess sei, würden sie es spätestens dann lernen, oder den Preis für die Monologe der Vergangenheit zahlen müssen. „Für beides sind die Erwachsenen verantwortlich.“
Helga Wissing
Helga Wissing ist freie Journalistin und lebt mit ihren zwei Töchtern in einer Kleinstadt in Nordrhein Westfalen. Mit einer 16-Jährigen unter einem Dach weiß sie genau, wovon sie schreibt. Wechseljahre und Pubertät prallen aufeinander. Ihr Tipp: Ruhe bewahren und trotzdem lieb haben.
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