Vorbild: Eltern
- geschrieben von Ralf Ruhl
- Gelesen 5072 mal
- Schriftgröße Schriftgröße verkleinern Schrift vergrößern
Fußballspieler, Sängerinnen oder doch Mama und Papa? Jugendliche leben heute in einer anderen Welt als ihre Eltern. Und doch sind die Eltern als Vorbild unverzichtbar, auch in der Pubertät.
Warum Jugendliche Vorbilder brauchen?
An der Wand hängt Cristiano Ronaldo. Lebensgroß. Aber den findet Paul, 13 Jahre alt, nicht mehr so gut, seit er im WM-Spiel gegen Deutschland einen Freistoß in eine Ein-Mann-Mauer gesemmelt hat. Seine berühmte Schrittfolge vor dem Schuss kann er aber selbstverständlich vorführen.
Mia, 14 Jahre alt, steht auf Rihanna. Vor allem die Stimme, aber auch die Bewegungen. Die Klamotten hingegen findet sie „irgendwie zu nackig“. Ihre Hits kann sie selbstverständlich auswendig.
Warum brauchen Jugendliche überhaupt Vorbilder? In der Pubertät leben sie in einer Zeit des Umbruchs, der Ablösung von der Kindheit, der Vorbereitung auf das Leben als Erwachsene. Das bringt jede Menge Unsicherheiten mit sich. Und unsichere Situationen lassen sich am besten meistern, wenn man jemanden nachahmen oder imitieren kann, in der Sprechweise, im Verhalten, in der Berufswahl. So können Vorbilder für die Jugendlichen Wegweiser und Mutmacher sein.
Elternfreie Zone
Wer als Papierbild an der Wand hängt, kann diese Funktion natürlich nicht so gut ausfüllen wie ein Mensch aus Fleisch und Blut. Und hier stehen für Jugendliche nach wie vor an erstere Stelle die Eltern. Auch wenn sich das ein wenig verändert, wie man der Sinus-Studie, die u.a. von der Bundeszentrale für politische Bildung in Auftrag gegeben wurde, entnehmen kann. Freunde und Mediennetzwerke werden demnach immer wichtiger als Orientierungspunkte. Denn neben Zusammenhalt und Partylaune bieten sie vor allem eins: elternfreie Zone!
Dabei ist Rebellion für die 14- bis 17jährigen kein Thema: „Die Jugendlichen entfernen sich friedlich vom Elternhaus“, schreiben die Forscher. Sie empfinden einen starken Leistungsdruck, der vor allem von der Schule, aber eben auch von den Eltern ausgeht. Letzteres finden sie besonders frustrierend. Denn sie wollen nicht nur an ihrer Leistung gemessen, sondern als Person gesehen werden. Sehr groß ist ihr Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit. Halt und Sicherheit bietet vor allem die Familie, daher wünschen sich die meisten auch bald ein eigenes Heim mit Partner und Kindern.
Präsentation der Sinus-Jugendstudie (PDF)
www.sinus-akademie.de/SINUS-Jugendstudie_u18_2012/Öffentlicher_Foliensatz_Sinus-Jugendstudie_u18.pdf
Wofür Väter, wofür Mütter stehen?
Hier kommen natürlich wieder die eigenen Eltern ins Spiel. „Auf meinen Papa kann ich mich verlassen“, lobt Paul. „Er kann auch gut Mathe erklären.“ „Väter sind besonders stark an der Entwicklung des Selbstkonzepts des Kindes beteiligt“, sagt Wassilios E. Fthenakis, emeritierter Professor und ehemaliger Leiter des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München. Nach seiner Auffassung sind sie immer noch ganz klassisch für die Außenwelt, für Beruf und Status, zuständig – und vermitteln das auch ihren Kindern. Schulische Laufbahn, Informationen über gesellschaftliche Zusammenhänge und das Berufsleben, das ist das Metier des Vaters und hier sprechen ihnen Jugendliche auch Kompetenzen zu.
Grundsätzlich lassen sie auch mehr Autonomie zu. Das klassische Beispiel: Die Tochter klettert auf den Baum, der Vater ermuntert sie dazu, sie schafft es. Ist Mama dabei, traut sie sich höchstens auf den untersten Ast, denn sie erkennt sofort deren besorgten Blick. Laut Fthenakis tragen Mütter vor allem zur Entwicklung sozialer Kontakte und Beziehungen bei. Wie man mit anderen spricht, auf sie zugeht, sich mit anderen wohlfühlt – das lernen Jungen wie Mädchen vor allem von Mama.
Daher scheint es logisch, dass Jugendliche mit Fragen zur Berufswahl eher zu ihrem Vater gehen, mit Fragen zur ersten Liebe oder körperlichen Veränderungen während der Pubertät eher zur Mutter. „Eine zeitlang war meine Mutter eine richtige Freundin“, meint Mia. Inzwischen weiß sie aber selbst ziemlich genau, welche Tops und Hosen ihr gut stehen und was in der Clique angesagt ist. „Dafür ist Mama einfach zu alt.“
Das Recht auf den eigenen Weg
Eltern geben vor allem eine Grundlage mit, für die Haltung zum Leben, für das Verhalten in verschiedenen Situationen. Daran würden sie sich später orientieren, meint Herbert Scheithauer, Professor für Entwicklungspsychologie in Berlin. Vor allem, wenn sie in einer Atmosphäre von Wärme und Verständnis aufwüchsen, würden sie sich später daran erinnern. Dies könne in wichtigen Situationen handlungsbestimmend sein.
In der Hauptsache Leistung zu fordern ist demnach Gift für die Beziehung zwischen Eltern und Kindern, es kann auch die Kraft als Vorbild mindern. Hier hat sich die Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt. Hatte der Vater einen Betrieb aufgebaut, sei es als Handwerker oder als Rechtsanwalt, erwartete er früher, dass der Sohn diesen übernimmt. Heute stehen Jugendlichen viel mehr Handlungsspielräume offen: Insbesondere was die Berufswahl angeht bietet sich ihnen ein wesentlich größeres Spektrum. Eltern sollten laut Scheithauer hier nicht ihre Erwartungen an die Kinder herantragen und davon ausgehen, dass sie diese auch erfüllen. Denn die Kinder haben ein Recht auf ihren eigenen Weg.
Vorbilder sind Eltern von Anfang an, nicht erst ab der Pubertät. Doch gerade dann, wenn die Loslösung beginnt und entsprechende Konflikte auftreten, erweist sich die Tragfähigkeit der Beziehung. Wenn die Kinder auch dann noch Vertrauen haben, müssen die Eltern Vieles richtig gemacht haben.
Ralf Ruhl
Ralf Ruhl arbeitet als selbstständiger Journalist und Redakteur. Er lebt mit seiner Familie in Göttingen. Seine Kinder haben die Pubertät hinter sich. Und er auch. Glaubt er...
Ähnliche Artikel
- Soft Skills in Zeiten der Coronakrise – Warum Empathie von Pädagogen gerade heute so wichtig ist
- Naturwissenschaft und Ethik, Physik und Religion – ein notwendiges Zweigespann
- Die tun nicht nichts, die liegen da und wachsen – Was in der Pubertät hilft
- Herausforderungen als Pädagoge in heutiger Zeit: Vergiss die Freude nicht
- Lehrerprofil: Nicht nur Lernmanager und Organisator – Lehrer als Psychologen, Seelsorger und Lebensbegleiter